Die Crux

der ESG-Ratings

Ist ein Unternehmen wie Tesla nun nachhaltig oder nicht? Über die Bewertung der Nachhaltigkeits-Performances wird heftig gestritten. Warum das so ist und was es für Unternehmen bedeutet, beschreiben Isabelle Fritsche und Finn Steinmann, ESG Rating-Expert:innen von Stakeholder Reporting, die zahlreiche Unternehmen bei der Auswahl und Beantwortung von Ratings berät.

ESG-Ratingagenturen sammeln und interpretieren ESG-Daten und Informationen zur Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen. Dabei bedienen sie sich verschiedener Methoden und setzen unterschiedliche thematische Schwerpunkte: Beispielsweise konzentriert sich der CDP Climate Change Fragebogen (laut CDP-Website „the gold standard of environmental reporting“) ausschließlich auf Klimathemen, während weitere Rater wie MSCI oder ISS ESG versuchen, durch eine Auswahl von Themen eine Aussage über das gesamte Nachhaltigkeitsspektrum eines Unternehmens zu treffen. Unterschiedliche Scopes und Methodiken führen zwangsläufig zu teilweise stark abweichenden Bewertungen.

Wie unterschiedlich diese ausfallen, zeigt das Beispiel des US-amerikanischen Autoherstellers Tesla: Aufgrund seines Produkts „Elektroauto“ wird das Unternehmen unter Nachhaltigkeitsaspekten als positiv wahrgenommen. In den öffentlich zugänglichen Ratings unterscheiden sich die Einschätzungen zur Nachhaltigkeitsperformance des Unternehmens jedoch deutlich:

TESLA Rating


Das Beispiel zeigt: Die Grundidee der Ratings, nämlich komplexe Nachhaltigkeitsinformationen zu vereinfachen und zu verdichten, können sie aufgrund der unterschiedlichen Methoden nur bedingt einlösen.

Unterschiedliche Methoden,

unterschiedliche Ergebnisse

Problematisch ist vor allem, dass nicht immer deutlich wird, was mit dem ESG-Score tatsächlich bewertet wird. Handelt es sich bei der Note um eine Einschätzung der Bemühungen der Unternehmen um Nachhaltigkeitsthemen? Zeigt der Wert an, wie hoch das Nachhaltigkeitsrisiko des Unternehmens ist? Oder wird gar der Einfluss auf die Umwelt bewertet? Nur bei wenigen Ratings – beispielsweise beim ESG Risk Rating von Sustainalytics – ist dies auf den ersten Blick erkennbar.

Daher verwundert es nicht, dass die durchschnittliche Korrelation in den Ergebnissen der bekanntesten ESG-Ratings lediglich 0,54 beträgt. Zum Vergleich: Bei den etablierten Finanzratings der Finanzratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s liegt die Übereinstimmung beim Wert von 0,99. Dies hat zur Folge, dass Investor:innen von unterschiedlichen Nachhaltigkeitsratingagenturen ganz unterschiedliche Einschätzungen zu nachhaltigen Anlageprodukten erhalten.

Mehr Standardisierung

und Transparenz gefordert

Dementsprechend werden auf dem SRI-Markt zunehmend Stimmen laut, die eine Vereinheitlichung, Standardisierung und Regulierung von Nachhaltigkeitsratings fordern. ESG-Ratingagenturen können der Kritik vorbeugen, indem sie ihre Methodik sowie die Einflüsse unterschiedlicher Themen auf die Bewertung offenlegen. Zugleich müssen sie dafür sorgen, nicht durch zu starre Bewertungsraster (etwa eine grundsätzliche positive Bewertung von Systemen bei großen Unternehmen) strukturelle Ungleichheiten entstehen zu lassen.

Letztlich spiegeln die Unterschiede in den Ratings jedoch auch die facettenreiche Realität der Nachhaltigkeitsthemen wider: Da es keine einheitliche Herangehensweise an Nachhaltigkeitsthemen gibt, haben die verschiedenen Ratings mit ihren unterschiedlichen Themenschwerpunkten durchaus ihre Daseinsberechtigung.

Was kommt

auf die Unternehmen zu?

Mit diesem Jahr wurden EU-weit erste gesetzlich verpflichtende ESG-spezifische Kennzahlen veröffentlicht, die auf den Kapitalmarkt zugeschnitten sind. Ob diese auf lange Sicht eine Alternative oder eher eine Ergänzung zu den ESG Ratings darstellt, bleibt abzuwarten. In der Zwischenzeit werden die Rater ihre Ansätze aufgrund ihres internationalen Bezugsrahmens erst einmal unbeirrt weiterentwickeln.

Ob wir in Zukunft eher eine Auskopplung unterschiedlicher Produkte aus einem Rating sehen werden, oder ob die Methodiken im Kern angefasst werden, bleibt abzuwarten. Gleichzeitig beobachten wir eine zunehmende Spezialisierung der ESG-Ratingagenturen.

Was bedeutet

all das für Unternehmen?

In der Öffentlichkeit wächst die Relevanz von ESG-Ratings, ihre Ergebnisse beeinflussen zunehmend die Unternehmenswahrnehmung. Aus diesem Grund sollten Unternehmen die Entwicklungen rund um ESG-Ratings intensiv beobachten. Gleichzeitig wird die Bearbeitung von Ratinganfragen zu einer immer komplexeren Aufgabe. Unternehmen sollten daher regelmäßig strategisch neu bewerten, an welchen Ratings sie sich beteiligen ­– und an welchen nicht.


Die Autor:innen

Isabelle Fritsche und Finn Steinmann, ESG Rating-Expert:innen von Stakeholder Reporting, die zahlreiche Unternehmen bei der Auswahl und Beantwortung von Ratings berät.
https://www.stakeholder-reporting.com/



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Harald Willenbrock

Head of Concept & Content