Weleda: Tina Müller
Wieviel Lifting braucht die Traditionsmarke Weleda?
„Ökologisch orientierte Seniorin mit älterem Freundeskreis sucht kompetente Begleitung für einen gemeinsamen Neuanfang!“ – So hätte die Kontaktanzeige klingen können, mit der die Naturkosmetikmarke Weleda vor gut einem Jahr nach einer neuen Frau an ihrer Seite bzw. Spitze suchte.
Übernommen hat die Aufgabe Tina Müller – eine von Deutschlands bekanntesten Managerinnen, die vorher bei Henkel, Opel und Douglas die Marketingfäden in der Hand hielt. Unter Müllers Ägide unterzog sich Weleda einer radikalen Verjüngungskur, eröffnete ihren ersten Online-Shop in Deutschland, frischte ihr Packaging und CI auf und verpasste sich selbstbewussten Claim „Swiss Natural Science“.
Jetzt ist Müllers erstes Jahr an der Seite der Öko-Marke rum und Zeit für ein erstes Beziehungsfazit. Wir wollten von Tina Müller wissen, warum die Marke Weleda plötzlich ihre schweizerischen Wurzeln betont, was sie Kilian Mbappé zu verdanken hat, wieso sie Innovation und Premium statt Nachhaltigkeit und Öko betont und was die Todsünde ist, die Weleda unbedingt vermeiden muss.
Tina Müller: Gerade als Weleda ist Wachstum auch was Positives, weil wenn wir wachsen, dann machen wir das ja mit Verantwortung und dann hat das einen positiven Einfluss auf den Planeten und auf den Menschen. Und dann finde ich, sind ambitionierte Ziele, machen auch stolz, wenn man es erreicht und das bringt auch Energie in die Organisation und das spüren wir jetzt, das spüre ich, und dann macht es natürlich noch mal doppelt so viel Spaß.
Harald: “Ökologisch orientierte Seniorin mit älterem Freundeskreis sucht kompetente Begleitung für einen gemeinsamen Neuanfang". So hätte die Kontaktanzeige klingen können, mit der die Naturkosmetikmarke Weleda vor gut einem Jahr nach einer neuen Frau an ihrer Seite bzw Spitze suchte. Übernommen hat die Aufgabe Tina Müller, eine von Deutschlands bekanntesten Managerinnen, die vorher bei Henkel, Opel und Douglas die Marketing Fäden in der Hand hielt. Unter Müllers Ägide unterzog sich Weleda einer radikalen Verjüngungskur, eröffnete ihren ersten Online-Shop in Deutschland, frischte Packaging und CI auf und verpasste sich selbstbewusst den Claim Swiss Natural Science. Jetzt ist Müllers erstes Jahr an der Seite der Ökomarke rum und Zeit für ein Beziehungsfazit. Wir wollen von ihr wissen, warum die Marke Weleda plötzlich ihre schweizerischen Wurzeln betont, was sie Kylian Mbappé zu verdanken hat, wieso Sie Innovation und Premium statt Nachhaltigkeit und Öko betont und wie die Todsünde lautet, die weder unbedingt vermeiden muss.
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Harald: Frau Müller, wissen Sie noch, was sie am Abend des 5.Juli dieses Jahres getan haben?
Tina Müller: Nein.
Harald: An diesem Abend spielte im Viertelfinal der Fußball-EM in Hamburg Frankreich gegen Portugal. Das Spiel ging in die Verlängerung und währenddessen, sie nicken schon, während der Spielpause, als die Spieler fit gemacht wurden, passierte am Spielfeldrand etwas, was sich kein Marketing Mensch besser hätte ausdenken können, oder?
Tina Müller: Ja, das ist richtig. Ich saß gar nicht vor dem Fernseher, aber ich habe dann natürlich eine E-Mail bekommen, dass ein sehr bekannter und berühmter Spieler, Mbappé, auf dem Rasen lag während dieses Spiels und von einem Physiotherapeut behandelt wurde mit Weleda Arnika Massageöl und der Spieler hielt diese Flasche auch noch fest und das ist natürlich ein großes Marketinggeschenk oder ein Kommunikationsgeschenk.
Harald: Sie haben das natürlich, Weleda hat den Clip geteilt. Das Arnikaöl auch noch raus vergrößert und 100 Tausende Klicks eingesammelt. Wissen Sie ungefähr, wie viel Reichweite Ihnen das verschafft hat und kann man einen solchen MBappé Effekt eigentlich auch direkt am Absatz des Produkts ablesen? Also muss man sich vorstellen, dass am nächsten Tag Arnika Öl in den Drogerien ausverkauft war, oder, geht das nicht, funktioniert das nicht so direkt?
Tina Müller: Doch, doch, das funktioniert genauso direkt. Also es waren ungefähr 20.000.000 Views international. Der größte Effekt auf den Abverkauf war in Frankreich. Das war ja natürlich auch die französische Nationalmannschaft, und man sah das relativ direkt dann danach vor allen Dingen auf den Online Kanälen, auf dem eigenen Webshop, aber auch über die Händler und das ist ja sowieso das Phänomen unserer Zeit, dass Social Media einen direkten und enormen Einfluss auf den Absatz hat.
Harald: Sie sind jetzt ein gutes Jahr, weil bei Weleda, einem Unternehmen, das 1920 von Rudolf Steiner mitbegründet wurde, dass der anthroposophische Lehre verpflichtet ist und eine echte Naturkosmetik veteranin ist. Ihre persönliche Vergangenheit spielt bei Marken wie Henkel, Opel und der Kosmetikkette Douglas. Ist Kulturschock der richtige Begriff, um zu beschreiben, was zwischen ihnen beiden passiert?
Tina Müller: Nein, ich glaube nicht. Es war von meiner Seite kein Kulturschock, weil ich mich natürlich vorher mit dem Unternehmen beschäftigt habe, und ich habe 2 Stationen gehabt in der Vorbereitung, die mich auch sicher gemacht haben, dass das der richtige Schritt für mich ist, weil er mich sehr, sehr interessiert. Das war zum einen der Besuch der Anthroposophischen Klinik in Berlin, die Klinik Havelhöhe. Und das andere war der Besuch des großen Heilpflanzengartens in Schwäbisch Gmünd. Man muss sich das so vorstellen, da werden über 800 Heilpflanzen biodynamisch angepflanzt und kommen dann direkt aus diesem Garten in die Tinkturen Produktion, die auf dem Gelände ist und die Art und Weise, wie diese Pflanzen kultiviert werden und auch geerntet werden, das ist ja das Besondere, was die anthroposophische Lehre auch ausmacht, also das ist ja die Demeter in der Landwirtschaft, das ist für meinen Begriff die höchste Qualität, wie man heute Landwirtschaft betreiben kann und dann eben speziell mit diesen Heilpflanzen, die ja dann die Wirkung ausmachen, sowohl in unseren Kosmetikprodukten als auch, und das Wissen gar nicht so viele, Weleda hat ja auch 20% des Umsatzes aus aus dem Pharmabereich. Wir haben über 800 einzelne Medikamente. Und dann kommt jetzt die Brücke zur Klinik Havelhöhe, das ist eine anthroposophische Klinik, und da ist die Philosophie ja, es geht nicht nur um das körperliche, sondern es geht auch um die Seele, und es geht um den Geist, also diese Einheit aus Körper, Seele und Geist. Und ich glaube, das ist die modernste Medizin, die den Menschen am nächsten kommt, ihren Bedürfnissen am nächsten kommt, weil ich glaube, wir wissen heute alle, dass viele Krankheiten eine seelische Ursache haben, und hier kommen in diesem Unternehmen Weleda diese beiden Seiten hervorragend zusammen. Und das war für mich einfach der Grund zu sagen, da kann ich mich sehr zu Hause fühlen und deswegen war von meiner Seite auch eine große Kulturoffenheit da, mich auf das einzulassen. Das heißt nicht, dass ich alles bis ins Detail schon verstanden habe, weil die anthroposophische Lehre ist ja sehr, sehr, sehr komplex, aber ich habe diese Offenheit mitgebracht, und deswegen war der Kulturclash von meiner Seite nicht so hoch. Der Kulturclash von der anderen Seite, den müssen andere beurteilen. Aber ich denke, es ist ja immer so, in einem solchen Prozess braucht es neue Inspirationen von außen, es braucht eine Offenheit und dann braucht es natürlich von innen auch die Bereitschaft zur Transformation und zum Wandel.
Harald: Welches Klischee über die Marke Weleda hat sich bei Ihnen widerlegt, als Sie sich dann mit der Marke näher zu beschäftigen begannen?
Tina Müller: Ja, so ein bisschen das tradierte, das Öko-Image, das nur Öko-Image und vielleicht die auch noch etwas mangelnde Leistungsstärke, wenn es an Kategorien geht wie Gesichtspflege. Wo ja die Naturkosmetik auch ein Stück weit von der Bewegung Clean Beauty überholt worden ist, weil Clean Beauty sagt, ja eigentlich, nehmt den ganzen Shit raus, ja, kein Plastik, keine Parabene und so weiter, während die Naturkosmetik sagt, das war ja schon eh nie bei uns drin, aber wir gehen noch einen Schritt weiter und sagen, wir haben halt reine Natur in den Produkten, weil die Natur ist einfach das Beste, weil es der Haut am ähnlichsten ist, ja. Aber Clean Beauty hat natürlich die ganze Bewegung modernisiert. Viele sind in den Naturkosmetikmarkt eingestiegen, weil es einfach ein Megatrend ist, weil die Konsumentinnen heute viel stärker darauf achten, was ist eigentlich in dieser Formel enthalten und sie gucken danach, es gibt Apps wie Codecheck, wo man genau sehen kann, ist es gut oder ist es nicht gut und deswegen war es an der Zeit, Weleda zu modernisieren und raus aus diesem nur nachhaltig oder Öko-Image in eine neue Zeit, dem Kosmetikmarkt einfach anzupassen und das gleiche gilt übrigens für den Pharmabereich. Im Pharmabereich sind die Nahrungsergänzungsmittel natürlich das am meist wachsende Sortiment, neben Segmenten übrigens wie Stress und Schlaf. Wir haben eben ja schon darüber gesprochen, über die seelische Komponente vieler Krankheiten, Burnout etc. und auch übrigens das trockene Auge durch die ganze Computerarbeit ist ein stark steigendes Segment. Naja, und jetzt gilt es eben, moderne Methoden da reinzubringen, dass wir davon profitieren können, wie der Markt sich entwickelt. Ist ihre Aufgabe bei Weda eigentlich so ein bisschen vergleichbar mit ihrer Aufgabe als Marketing Vorständin bei Opel? Dort hatten wir auch eine Traditionsmarke, die gegen ein eingestaubtes Image kämpfte und das ziemlich erfolgreich mit der, ich glaube, Scholz & Friends waren das, die die Kampagne im Kopf entwickelt hat. Und tatsächlich hat Opel erstmals, wenn ich es richtig weiß, wieder Marktanteil gewonnen. Ist dieser Opel Effekt auch etwas, wegen dem Sie zu Weleda geholt wurden?
Tina Müller: Na, ich glaube, man kann es nicht ganz vergleichen, weil es gibt einen elementaren Unterschied. Bei Weleda haben wir die Situation, dass wir eine hervorragende Produktqualität haben. Und Herausforderungen-
Harald: Das war bei Opel nicht so?
Tina Müller: Also zu dem Zeitpunkt von unparkendem Kopf waren die Autos sicherlich noch nicht auf dem qualitativen Niveau, wie sie heute sind. Ja, also mit einer relativ alten, veralteten Flotte mit veralteter Technik, haben wir dann versucht, mit einer modernen Kommunikation überhaupt den Zugang wieder zur Marke zu schaffen, weil, und das ist jetzt auch ein großer Unterschied, bei Opel war ja die soziale Akzeptanz nicht mehr da. Opel zu fahren, das war nicht gut für das persönliche Image, und das haben wir natürlich bei Weleda überhaupt nicht, bei Weleda haben wir den globalen Marktführer der Naturkosmetik, also die Nummer 1, was Opel ja Jahrzehnte schon nicht mehr war, weil es war dann VW, und wir haben eine hervorragende Qualität. Was eben die Opportunität bei Weleda ist jetzt, diese Qualität an viel mehr Menschen zu bringen, mit modernen Kommunikationsmethoden, und das ist schon etwas anderes als bei Opel.
Harald: Sie sprechen es an, welchen Menschen wollen Sie die nahe bringen? Also wenn wir über fiese Klischees sprechen, kann man sagen, in Deutschland stand Weleda früher, sagen wir mal, für den Waldorfpädagogen, böse gesagt, und die Öko-Aktivistin mittleren und vielleicht eher sogar meines Alters, höheren Alters. Wen wünschen Sie sich als künftige Zielgruppe von Weleda und wie, wie soll die Marke sie wie erreichen?
Tina Müller: Also das hat sich zum Glück schon geändert. Das hat sich auch schon vor mir geändert. Mit der Einführung von modernen Produkten, die viel stärker im Gesichtspflegemarkt angesiedelt sind, weil der Gesichtspflegemarkt, ist das boomende Segment in der Kosmetik. Und dann kam ja die erste Linie mit Karoline Herfurth als Testimonial, die straffende Tagespflege mit Granatapfel, auch schon eine sehr moderne Art und Weise, und Karoline Herfurth gehört natürlich genau nicht zu dieser Zielgruppe Waldorfschülerin und Ökoaktivistin ja, wobei sie natürlich -
Harald: Obwohl sie Waldorfschülerin ist.
Tina Müller: Ja, das wusste ich gar nicht. Umso besser, aber sie steht natürlich für ein sehr modernes Frauenbild und ist nicht begrenzt auf dieses, dieses Klischee, sagen wir es mal so. Sondern was wir jetzt gemacht haben, also die Zielgruppe, die wir erreichen wollen, sind im Prinzip alle Frauen, die Wert auf hochqualitative Kosmetik legen, und zwar in erster Linie auf wirksame Kosmetik. Es geht gar nicht so darum zu sagen, wir wollen nur da fischen, wo die Naturkosmetik Verwenderinnen sind, im Gegenteil, wir sehen uns zwar als Naturkosmetikmarke, aber wir wollen alle glücklich machen. Und wir wollen letztendlich, und das tun wir jetzt, demonstrieren, dass man mit Naturkosmetik die gleichen Ergebnisse erzielt, sogar bessere Ergebnisse erzielt, als wenn man mit der reinen Chemie unterwegs ist.
Harald: Ist ja auch genau so wirksam. Tina Müller: Und da bewegen wir uns ja im Trend der Zeit. Was wir jetzt gemacht haben, wir sind jetzt einen Schritt weiter gegangen, nach der straffenden Tagespflege mit Karoline Herfurth, sind wir jetzt einen Schritt weiter richtig in die Bekämpfung der Falte. Also wir haben jetzt die Linie eingeführt mit blauem Enzian und Edelweiß, die mindert Falten und gibt der Haut 60% mehr Kollagen, und das ist eine Formel, die zum Patent angemeldet ist. Da hat unsere Forschung und Entwicklung wirklich ein hervorragendes Produkt kreiert, und wir haben die Marke jetzt auch etwas mehr wieder in ihre Heritage zurück positioniert, nämlich als Swiss Natural Science. Die Marke, es ist ein Schweizer Unternehmen, die Marke kommt aus der Schweiz, es sind Schweizer Heilpflanzen, blauer Enzian und Edelweiß, die auch in der Schweiz geerntet werden. Und dieser Wirkkomplex kann natürlich mit allem mithalten, was, was sich sonst so auf dem Markt befindet und diese Positionierung Swiss Natural Science auch zu sagen, wir nehmen die Kraft der Natur, die Heilpflanzen aber in unseren Laboratorien wird daraus natürlich mit einem wissenschaftlichen Ansatz mehr gemacht, ja, das Geheimnis liegt ja in der Kombination der Wirkstoffe und nicht allein, ich ernte die Pflanze und mach die klein und leg die in ein Cremetöpfchen. Und die Kampagne läuft jetzt seit ein paar Monaten und wir haben es jetzt geschafft, mit dieser Linie bei einem, bei unserem größten Händler, sind wir jetzt die drittgrößte Gesichtspflegemarke im Markt. Und das ist natürlich ein sensationeller Erfolg und zeigt, dass Weleda weitaus mehr Menschen ansprechen kann, als die, die sie eben beschrieben haben. Und plötzlich dreht sich das natürlich ins Positive, dass man sagt, hier bekomme ich 60% mehr Kollagen und es ist Naturkosmetik, und das ist mir wichtig, dass ich Inhaltsstoffe, natürliche Inhaltsstoffe habe, weil das sehen Sie in jeder Marktforschung, was in der Formel enthalten ist, ist entscheidend, und möglichst soll es natürlich sein.
Harald: Wer ist denn die oder der Verwender:in, die sie sich vorstellen? Idealerweise.
Tina Müller: Das kommt ganz auf die Zielgruppe an, weil wir haben natürlich angefangen vom Baby, wir sind die Babymarke, die Babypflege Nummer 1, da haben Sie die Wundschutzcreme, die dann auf dem Babypopo gecremt wird. Das ist übrigens das erfolgreichste Produkt bei Weleda seit 100 Jahren. Und dann gehen wir natürlich in die jüngeren Zielgruppen rein, und das ist bis oben offen. Also Weleda ist eine sehr demokratische Marke, was wir aber jetzt tun, jetzt gerade, ist, dass wir festgestellt haben, wir sind etwas überaltert, das heißt, wir haben heute eine große Stamm, ich hätte beinahe gesagt Stammwählerschaft, eine große Stammkundschaft, die zwischen, sich zwischen 55-70 bewegt. Die sind mit der Marke groß geworden, die sind extrem loyal geblieben, was durch die hohe Produktqualität bedingt ist. Und wir haben den Funnel, wie man so schön sagt, also am anderen Ende, die jungen Zielgruppen nicht genug zur Marke geführt und woran liegt es -
Harald: Wie wollen Sie das schaffen?
Tina Müller: Das liegt natürlich daran, dass die Kommunikationskanäle sich dramatisch geändert haben, also früher war es TV und die Printanzeige und dann noch am POS. Und heute, die jungen Zielgruppen, die gucken kein TV mehr, die gucken auch selten in der Zeitschrift, es geht alles über das Smartphone, es geht alles über die digitalen Kanäle. Und Social Media spielt da heute die Nummer 1 Rolle in den jungen Zielgruppen und da haben wir natürlich Luft nach oben gehabt und das haben wir komplett neu aufgesetzt und fahren jetzt im Moment eine Digitalkampagne nach der nächsten und man sieht dann eben auch sofort den Erfolg.
Harald: Stimmt es eigentlich, dass Weleda Deutschland bis vor gar nicht so langer Zeit keinen Webshop betrieb, weil man Tech-Konzerne wie Google und Amazon nicht supporten wollte?
Tina Müller: Nee, ich glaube, das lag nicht daran, dass man die Konzerne nicht supporten wollte, es war einfach, ja, man hat es noch nicht so für nötig empfunden und als ich kam, gab es in der Tat noch keinen Webshop in Deutschland, in der Schweiz war er in der Planung und er hätte eigentlich, also nach Plan meiner Vorgänger, hätte er erst, wäre erst jetzt irgendwann eingeführt worden und ich habe dann gesagt, das geht nicht, wir müssen da mehr Priorität drauflegen und haben dann im März eingeführt. Und haben sehr schnell da auch sehr viel Umsatz aufbauen können, aber das gehört natürlich auch dazu, neue Leute ins Unternehmen geholt, die aus dem digitalen Umfeld gekommen sind. Also wir haben eine neue Chief Digital Officerin, die aus dem E-Commerce Bereich kommt, wir haben ein neues digitales Lab aufgebaut in Düsseldorf, nicht in Arlesheim oder in Schwäbisch Gmünd, aber in Düsseldorf, weil sie hier einfach einen anderen Talentpool haben. Und da wird die ganze digitale und Social Media Kommunikation gemacht im eigenen Content Studio und das E-Commerce Team sitzt in Arlesheim in der Schweiz und alle digitalen Entscheidungen werden auch in der Schweiz in Weledas Zentrale gefällt.
Harald: Sie sprechen die Mitarbeiterin an, Frau Müller. Weleda hat mehr als 2.300 Mitarbeitende, wenn ich es richtig -
Tina Müller: 2.500, rund 2.500.
Harald: 2.500, der Großteil war vor ihrer Zeit bereits in der Firma und hat ganz andere Erfahrungen gesammelt als Sie und andere andere Perspektiven. Wie kriegt man eine erfahrene Belegschaft dazu, ein neues Markenbild zu verstehen, mitzutreiben und noch viel wichtiger zu leben und woran scheitert man da auch immer wieder?
Tina Müller: Also man weiß ja, dass 75% der Transformationen misslingen und ich glaube, es gibt 2 Gründe dafür. Der erste Grund ist keine klare Strategie. Weil wenn man mit, wenn man mit etwas neuem kommt, dann muss man schon auch klar machen, was soll das denn sein, was ist denn das Zielbild und wir haben sehr früh eine neue Strategie dann lanciert, die heißt #ForwardGrowthThatMatters, und wir nennen das auf deutsch Wachstum mit Verantwortung, wir sagen also, Wachstum ist etwas Positives, wir wollen den Umsatz bis Ende des Jahrzehntes verdoppeln und da sehen wir vier plus einen Hebel, der eine Hebel der größte, ist sicherlich die Marken Modernisierung, die permanent mitläuft. Da werden wir jetzt auch bald ein neues Logo sehen, was ja bei Weleda die Königsklasse ist, weil das ist ja auch eine sehr, sehr sinnhafte Schrifttypo, die man nicht so einfach Modernisieren kann, aber das haben wir jetzt getan. Die visuelle Welt hat sich modernisiert und wird sich weiter modernisieren, und dann haben wir vier andere Hebel, das ist die Innovation, also die Neuprodukte, weil der Markt tickt einfach in Neuprodukten, vor allen Dingen die Kosmetik, sind Innovationen der größte Wachstumshebel, dann die Digitalisierung, haben wir schon angesprochen, der Bereich E-Commerce, der Bereich Plattform, Business, der Bereich Social Media, dann die Internationalisierung. Weleda’s Kernmärkte sind ja, die historischen, also der Dachmarkt Deutschland, Österreich und Schweiz. Wir sind aber bereits heute fast überall auf der Welt vertreten, USA, Osteuropa, Asien sind alles Regionen, die sehr sehr gut wachsen bei Weleda, wir werden nächstes Jahr nach Indien gehen, ich flieg in 2 Wochen nach Indien für den, für die final Verträge mit einem indischen Händler. Und dann haben wir noch, was sicherlich ganz interessant wird, das Thema Premium, also selektive Distribution. Weleda ist ja heute hauptsächlich in der Apotheke und im Drogeriemarkt in Deutschland oder auch im Fachhandel und wir sind nur ganz wenig international in den Parfümeriekanälen. Also wir sind zwar heute auch bei Douglas online, aber wir sind kaum stationär vertreten und wir haben 2 Projekte jetzt, wo wir in diese Kanäle eintreten werden, in der Gesichtspflege mit einem Premiumangebot und auch noch mal mit einer Multi Generational Brand, also die mehr noch weiter greift, weil wir glauben, dass diese außerordentliche Qualität, auch in einer selektiven Distribution, ihren Stand haben sollte und es Zeit ist, jetzt auch da reinzugehen. Also das Thema Premium spielt eine große Rolle, International, Digitalisierung und Innovation. Und so mit diesen vier Hebeln und dem Wachstum mit Verantwortung und Verantwortung heißt hier in dem Fall nicht auf Kosten der Natur und nicht auf Kosten des Menschen. Also das ist die Grundlage, die Philosophie von Weleda, zu wirtschaften im Einklang mit Mensch und Natur. Und das hat natürlich viel mit Nachhaltigkeit zu tun, wie wir es tun, auf möglichst nachhaltige Art und Weise natürlich besonders in der Entstehung unserer Produkte. Ich glaube, da ist auch unser USP, unser USP ist nicht in der CO2 Reduktion, das machen wir natürlich auch, das ist uns auch wichtig, aber unser Marken USP ist ja eher im Anbau, in den Agrar Partnerschaften, in der Artenvielfalt, vor allen Dingen auch.
Harald; Dann haben Sie gerade gesagt, man braucht erstmal eine klare Strategie, um die Menschen mitzunehmen. Aber das heißt ja noch nicht, dass sie einen Buy-in haben von 200.000 Euro.
Tina Müller: Genau, der zweite Grund oder der zweite Hebel, warum es gelingen kann, ist die Kommunikation. Also es ist wichtig, diese Strategie richtig zu kommunizieren und auch Lust darauf zu machen, mit Kommunikation, -
Harald: Wie macht man das?
Tina Müller: Wie macht man das? Indem man sehr, sehr viel kommuniziert über verschiedene Formate. Also wir machen das über Town Halls, wir machen das über CEO Talks, wo ich auch selber immer wieder die Strategie kommuniziere und Updates gebe. Wir machen das über CEO und CFO Lunch, wo wir kleinere Kreise einladen, direkt mit uns zu diskutieren und wir machen das so, ich speziell mach das auch über meinen Linkedin Kanal. Also wenn Sie mir folgen auf Linkedin, dann sehen Sie viel, wie dieser Weleda Wandel vonstatten geht, und Sie hören viel darüber. Und das ist heute wichtig, nicht nur für die interne Organisation, sondern auch für extern, für die Employer Brand, weil wir suchen natürlich auch Talente im Markt, gerade jetzt in Richtung Digitalisierung, und da brauchen sie eine starke Unternehmensmarke und Menschen oder Talente arbeiten heute nicht nur für den Namen oder die Marke, sondern eben auch für die Menschen. Und sie schauen, wer leitet das Unternehmen, was sind das für Leute, was haben die für Werte, was kann ich über die erfahren und wenn die das gut finden, dann bewerben die sich.
Harald: Die Kollegen der Wochenzeitung Die Zeit schrieben kürzlich über Sie, Tina Müller war bis Ende 2022 Chefin der Parfümeriekette Douglas und galt nicht gerade als Vorkämpferin für Nachhaltigkeit. Haben Sie sich verändert oder haben sich die Kollegen schlicht in Ihnen geirrt?
Tina Müller: Naja, ich habe schon mal, also ich habe schon vor vielen vielen Jahren bei Henkel im Nachhaltigkeitskomitee gesessen, insofern ist das nichts, was mir fremd war. Ich habe bei Douglas den ersten Nachhaltigkeitsbericht verfasst oder angestoßen und dann natürlich exekutiert, es war aber nie mein Spezialgebiet. Also es war nie meine erste Priorität und deswegen finde ich das ja so schön, dass es jetzt eine viel viel größere Rolle spielt. Aber man darf nicht vergessen, Konsument und Konsumentinnen kaufen nicht in erster Linie Nachhaltigkeit. Sie kaufen in erster Linie eine Produktleistung, aber ihnen ist die Nachhaltigkeit immer wichtiger geworden und ich glaube, das ist auch das richtige Verhältnis, man kann nicht erfolgreich sein nur mit Nachhaltigkeit, sondern wenn sie dieses Ranking sehen, der Benefits, die wichtig sind, dann haben sie erst Produktleistung und dann an zweiter Stelle die Nachhaltigkeit, ja. So, und wenn man das in Einklang bringen kann, dann ist es natürlich aus meiner Sicht sehr fortschrittlich, weil ich dann eben beides bieten kann.
Harald: Mit Swiss Natural Science tun sie das ja so ein bisschen in der Positionierung. Da würde ich mich interessieren, warum ist das Swiss wichtig, womit wird das, was glauben Sie, womit wird das assoziiert, was wollen Sie damit evozieren?
Tina Müller: Es wird assoziiert, das haben wir auch vorher getestet, übrigens auch in Deutschland, es könnte ja sein, dass die Deutschen sagen, Swiss ne. Wir haben es getestet und es wird damit sehr hohe Qualität assoziiert. Also mit Swiss und auch mit Naturverbundenheit. Die Schweiz steht nicht nur für außergewöhnlich hohe Qualität, sondern auch für Naturverbundenheit und das passt natürlich hervorragend zu Weleda. Harald: Sie haben es schon angedeutet, Weleda ist seit jeher nachhaltig orientiert, biodynamische Rohstoffe, sie sind eine B Corp Brand, haben auch gerade wieder bei der jüngsten Zertifizierung den drittbesten Wert in ihrer Industrie eingesammelt. Dennoch spielt Sustainability in ihrer Markenkommunikation eher eine indirekte Rolle, würde ich mal sagen. Täuscht der Eindruck und wenn nein, warum?
Tina Müller: Naja, wir haben ja dieses Kapital sowieso. Also wenn man Weleda hört oder sieht, dann weiß man eigentlich durch die über 100 jährige Geschichte, dass Villeda besonders naturorientiert und sehr nachhaltig ist. So, und wie ich eben gesagt habe, um jetzt zu wachsen, ist das Argument so stark, aber das wichtigste Argument ist natürlich die Produktleistung. Und deswegen konzentrieren wir uns in der Kommunikation, die wir jetzt machen, und wir sind ja ein kleines Unternehmen, wir sind ja kein Großkonzern, wir haben jetzt kein 100.000.000 Werbebudget, das heißt, wir müssen sehr smart mit relativ wenig Budget jetzt unsere Innovationen platziert bekommen und das geht natürlich hauptsächlich über den innovativen Benefit. Also was habe ich denn Neues und was bringt das für meine Haut oder was bringt das für meine Gesundheit? Wir haben jetzt auch gerade die erste digitale Kampagne gestartet, für Amara. Amara sind Tropfen für eine bessere Verdauung und dieser Bereich der Verdauung ist so gewachsen, weil wir so viel Fast Food essen. Also Pizza, Burger und so weiter und dann kommt der Blähbauch und Verdauungsprobleme und gerade auch in jüngeren Zielgruppen übrigens. Und wenn ich diese jüngeren Zielgruppen jetzt erreichen will, dann gehe ich eben über Instagram und TikTok jetzt und so haben wir die erste in Weledas Geschichte, die erste digitale Kampagne für ein Arzneimittel gestartet, und wir sehen jetzt schon nach 2 Wochen, dass die sehr sehr gut ankommt. Was ich damit sagen will, ist, dass wir da natürlich auch über den Benefit sprechen, dass wir diese Verdauungsprobleme lösen und natürlich schwingt damit, weil das Heilkräuter sind in diesen Tropfen, das sind ja Bittertropfen mit Heilkräutern, schwingt das natürlich immer mit, dass wir auch nachhaltig sind. Aber mir ist wichtig, beim Thema Nachhaltigkeit nicht so eine General Argumentation, ja ja, und wir machen auch hier was für CO 2 und hier machen wir was für die Artenvielfalt, sondern ich möchte, dass wenn man Weleda hört, dass bestimmte Bilder im Kopf sind, ja.
Harald: Nennen Sie mal eins.
Tina Müller: Zum Beispiel vor, im Sommer, ne jetzt im Herbst, haben wir unser neues Logistikzentrum aus Holz und Lehm eingeweiht, was absolut einzigartig ist. Also, das finden Sie so nicht noch mal in Europa und wahrscheinlich auch nicht außerhalb von Europa. Und ich möchte diese Nachhaltigkeit mit Innovationen verbinden, weil ich für Weleda es gerne hätte, dass man sagt, okay und wenn die Nachhaltigkeit machen, dann machen die nicht das, was alle anderen machen, sondern die machen was Einzigartiges wie ein Logistikzentrum aus Holz und aus Lehmbaum.
Harald: Klingt erstmal nicht so wahnsinnig innovativ, sondern eher traditionell. Aber ich bin sicher, man findet dort Innovation. Tina Müller: Nee, ich glaube, das ist sehr innovativ. Und die ganze Baubranche entwickelt sich ja zu Naturmaterialien, ja, das ist ja ein ganzer Trend. Und wenn Sie mit diesem Logistik, ich sage noch mal, Logistikzentrum in die AD kommen und die AD einen langen Bericht über dieses Logistikzentrum schreibt als super Fashionable Premium Magazin, ich glaube, dann können Sie mit Fug und Recht behaupten, dass sie da einen Innovationspunkt gemacht haben.
Tatjana: Quick and Dirty Zeit für eine Runde fixe Fragen. Was war denn der Punkt Ihres Lebens, an dem Ihnen die Bedeutung von Nachhaltigkeit bewusst geworden ist?
Tina Müller: Das war im Heilpflanzengarten bei Weleda in Schwäbisch Gmünd.
Tatjana: Warum glauben Sie, dass Nachhaltigkeit und nachhaltige Markenführung in den nächsten Jahren für den Wettbewerb entscheidend sein werden?
Tina Müller: Weil es unsere Zukunft bestimmt und weil es Einfluss hat auf die nachkommenden Generationen, die uns ja wichtig sind oder wichtig sein sollten.
Tatjana: Das Argument, mit dem Sie auch den ignorantesten Nerd überzeugen, nachhaltiger zu handeln.
Tina Müller: Dass es um die nächsten Generationen geht und dass wir eine Verantwortung haben und die auch spüren sollten.
Tatjana: Ihre Definition von Nachhaltigkeit in einem Satz.
Tina Müller: In einem Satz meine Definition von Nachhaltigkeit ist regeneratives Wirtschaften, ökologische Innovation und soziale Verantwortung.
Tatjana: Haben sie eine bessere Alternative, statt des ausgeleierten Begriffs Nachhaltigkeit?
Tina Müller: Ja, ich finde regeneratives Wirtschaften besser, weil es sagt, nicht nur nachhaltig, sondern es sagt, dass man auch etwas zurückgeben sollte, weil das wichtig geworden ist.
Tatjana: Jetzt mal ganz ehrlich, was ist Ihr persönlich unnachhaltigstes Produkt oder Angewohnheit, wo cheaten sie? Tina Müller: Ich fahre noch kein Elektroauto.
Tatjana: Das Gesetz mit Blick auf Nachhaltigkeit, das sie schon morgen auf den wegbringen, sollten Sie heute Bundeskanzlerin werden.
Tina Müller: Gar kein Gesetz, weil ich finde, wir haben genug Gesetze und es wäre besser, wenn wir das aus eigener Motivation machen, dann hat es auch mehr Impact.
Harald: Wir sprachen über, Sie sprachen über Innovation, die dazu kommen muss, wie sie jüngere Zielgruppen abholen, auf neuen Innovationen plus neue Kanäle. Ich wollte gerne wissen, was ist denn die idealtypische Kund:in, die Sie künftig abholen wollen, die Weleda bisher nie angefasst hätte oder angeguckt hätte.
Tina Müller: Das sind vor allen Dingen die jüngeren Zielgruppen, die nicht so naturverbunden sind, die sehr leistungsorientiert sind. Denen geht es hauptsächlich darum, Glow auf der Haut zu bekommen. Oder die Falten wegzubekommen und die nie in diesem Becken der Naturkosmetik unterwegs waren. Und wie spreche ich die jetzt an? Über innovative Produkte und dass die dann auch einen Zugang finden zur Naturkosmetik. Das ist das Ziel, und das sehen wir eben, dass das gelingt. Wo es natürlich schon hervorragend gelungen ist, ist beim Thema Haarpflege, das Haartonic von Weleda mit Rosmarin. Da haben wir gesehen, den anderen Effekt von Social Media. Da haben dann Influencer auf TikTok das Produkt besprochen und das hat zu einem sehr großen Hype geführt und wir waren relativ schnell ausverkauft mit dem Rosmarin Haartonic gegen Haarausfall. So, jetzt sind wir natürlich ein nachhaltiges Unternehmen, was Heilpflanzen in den Produkten hat, die ja nun, teilweise, eine Ernte im Jahr haben. Die müssen ja wachsen und die wachsen ja bei uns auf biologische Art und Weise. Da kann ich dann nicht sagen, Ach ja, Rosmarin, ich gucke mal auf der Welt, wo noch Rosmarin Extrakt ist in China und so und interessiert mich auch überhaupt nicht, wie der da angebaut wurde, ich kaufe den jetzt einfach ein. Das wäre ja überhaupt nicht die Philosophie von Weleda. So, und dann war es natürlich so, wir waren Out of Stock, kein Produkt mehr da, wir waren nicht mehr lieferfähig und wir mussten auf die nächste Ernte warten. Die Ernte war aber sowieso schlechter geworden, weil wir haben in Spanien den Rosmarin angebaut. Der Klimawandel hat in Spanien besonders zugeschlagen, es ist immer heißer geworden, die Böden sind immer ausgedörrter und die Ernte wurde schlechter. Und dann haben wir entschieden, wir gehen weg aus Spanien, wir gehen nach Frankreich und gehen von 2 Hektar auf 100 Hektar, das macht man eben auch nicht in einer Saison, das geht über Jahre. Wir haben eine neue Agrarpartnerschaft, aufgemacht in Frankreich, aber die Abhängigkeit von der Natur, von ihren Zyklen und die bewusste Entscheidung, es Bio oder Biodynamisch anzubauen, hat Konsequenzen auf die Lieferkette, hat Konsequenzen auf unsere Lieferfähigkeit, und wenn Social Media oder in Social Media Produkte gehyped werden, dann können wir nicht immer der Menge sofort Nachkommen. Und aus unserem Selbstverständnis heraus ist es dann aber auch so und das akzeptieren wir auch.
Harald: Das müssen Sie nur den Händlern und Händlerinnen erklären, die sagen Leute, wir können jetzt verkaufen, wo bleibt das Zeug, oder?
Tina Müller: Ja, aber selbst die Händler sagen, das macht euch ja auch aus, diese Qualität, ja. Und ich glaube den Händlern wäre es auch nicht recht, wenn wir sagen würden, Oh, wir hatten jetzt mal den Rosmarin sonstwoher eingekauft.
Harald: Was sagen Sie denn ihren Manager Kolleginnen und Kollegen anderer Unternehmen, die gerade Reihenweise ihre Nachhaltigkeitsprojekte ausbremsen oder einstellen, weil sie mit Kaufzurückhaltung, Absatzkrise und somit angeblich Wichtigerem zu kämpfen haben? Das sind ja eigentlich gute Argumente zu sagen, nachhaltiger machen wir dann, wenn wieder Geld und Zeit da ist. Was sagen Sie denen?
Tina Müller: Naja, der Grund ist ja häufig, dass sie sagen, das Portemonnaie ist jetzt, das Geld ist knapper geworden aufgrund der Inflation. Und dann gibt es ein gewisses Downtrading im Markt. Dann kauft man preiswerte ein, weil man sich nicht mehr so viel leisten kann oder nicht mehr so viel leisten möchte. Jetzt haben wir natürlich in beiden Branchen Gesundheit und Schönheit, eigentlich eine Sonderkonjunktur, wenn wir ehrlich sind, die Märkte wachsen weiter, sie wachsen viel stärker als andere Industrien, zum Beispiel die Modeindustrie, weil eben so viel Wert darauf gelegt wird, dass man attraktiv ist und dass man gesund bleibt. Deswegen wäre das in dieser Branche eher eine Ausrede, um ehrlich zu sein, da habe ich auch wenig Verständnis und es Challenged uns natürlich, innovativ zu sein. Also wenn ich für ein, wenn ich ein nachhaltiges Produkt innovativ positioniere, dann ist ja der Konsument oder die Konsumentin viel eher bereit, auch mehr dafür zu zahlen. Wenn es einfach nur ein 0815 Produkt ist, was ich mit jedem anderen vergleichen kann, dann komme ich in diesen Vergleich rein und dann gibt es eher das Downtrading. Aber wenn ich etwas bieten kann, was mir das herkömmliche Produkt nicht bietet und deswegen ist mir die Innovation auch so wichtig, dann ist der Konsument bereit, mehr zu zahlen und dann bin ich auch weiter erfolgreich. Weleda ist im Handel die teuerste Marke und nicht nur in der Naturkosmetik, sondern fast im ganzen Sortiment. Das hat zur Folge, dass ich immer einen Schritt weiter sein muss. Ich muss ja auch immer einen Schritt weiter sein als Private Label, weil ich habe natürlich auch eine große Konkurrenz auch im Naturkosmetikbereich über Private Label und gerade jetzt in diesen Zeiten ist der Schritt von der Naturkosmetik zum Naturkosmetik Private Label natürlich relativ schnell. Also muss ich konstant mit neuen Produkten reinkommen, die den, oder wo der Konsument dann sagt, ja, das ist aber noch besser, weil Neuigkeit spielt eine große Rolle und dann kaufe ich das und gebe da auch mehr für aus. Also, damit ich es richtig verstanden habe, DM, Rossmann alle mit ihren Eigenmarken machen auch Naturkosmetik, ist auch irgendwie, oder wahrscheinlich sogar sehr nachhaltig weiß ich nicht, aber Weleda sagt okay wir sind aber auch innovativ vorne weg und bei uns kriegst du was was du bei den anderen eben nicht bekommst.
Tina Müller: Genau, richtig.
Harald: Sie haben ein Buch über die Todsünden des Marketings geschrieben. Was wäre denn die Todsünde, die Weleda jetzt unbedingt, die Marke Weleda, jetzt unbedingt vermeiden sollte?
Tina Müller: Also, jegliche Todsünde sollte vermieden werden, das ist schon klar. Ich glaube, was für Weleda jetzt nach vorne aus wichtig ist, zum einen, sich zu modernisieren und zum anderen diesen starken Markenkern und die Werte auch zu erhalten, also es nicht zu verbessern.
Harald: Welche Werte sind das?
Tina Müller: Das sind die Werte natürlich, die Werte es mit Verantwortung zu tun, ja, die Werte, reine Naturkosmetik zu bleiben. Man könnte ja auch sagen, wir machen mal ein bisschen weniger Natur rein, wir machen jetzt nur mal so 60% Natur und den Rest machen wir billiger, konventionell. Also diese Produktqualität, es darf keinen Kompromiss bei der Produktqualität geben, als ich angefangen habe bei Weleda und mir die Herstellkosten angeguckt habe, da habe ich erstmal durchgeatmet, weil ich habe natürlich über 25 Jahre in anderen Konzernen, ja auch im Kosmetikbereich gearbeitet und Runde um Runde Cost Saving erreicht und hier ein bisschen weniger, da ein bisschen weniger, bis hinzu Duschgelen, die dann nur noch Wasser waren am Ende, also das ist jetzt ein bisschen schwarz, weiß natürlich gesprochen.
Harald: Sie waren bei L’Oreal, nh?
Tina Müller: Ne da war ich nur ganz am Anfang und L'Oreal steht auch nicht für Qualitätsverbesserung, aber ich war ja auch noch bei anderen Konzernen. Aber diese Versuchung, in kleinen Schritten die Qualität runterzufahren, um die Kosten runter zu bekommen, diese Versuchung ist Weleda, hat Weleda immer Nein gesagt dazu. Und also auch wenn ich hingehen würde, selbst als CEO und sagen würde, oh, wir machen mal hier, ein bisschen da, ein bisschen merkt ja keiner, wäre ein absolutes No Go. Und das wäre die größte Todsünde für Vileda, an der Qualität zu schrauben.
Harald: In einem Interview haben sie kürzlich erklärt, sie wünschen sich künftig mehr Marketing-Menschen in den CEO Rollen. Warum, was können die besser als die, sagen wir mal BWL-Innen und Juristinnen, die sich aktuell in den Vorstandsetagen breit gemacht haben.
Tina Müller: Ich glaube, Marketing oder Vermarktungs- oder Markenexperten haben eher den Blick auf Wachstum und auf Innovation und nicht nur auf Kosteneffizienz. Und was ich erlebe, aber jetzt nicht erst kürzlich, schon seit Jahren, vor allen Dingen in der deutschen Industrie, die ja hauptsächlich aus dem Automobilbereich kommt, aus dem Engineering Maschinenbau, dass zu wenig Markenmacher und Wachstumsmacher in den entscheidenden Positionen sitzen. Das hat aus meiner Sicht auch dazu geführt, dass wir in Deutschland so ein bisschen das Schlusslicht geworden sind. Und das gilt auch für eine Automobilindustrie. Das Problem der Automobilindustrie heute ist ja, dass China uns gerade überholt. Das war der größte Absatzmarkt für die deutsche Industrie in den letzten Jahren und die Chinesen werden immer innovativer. Und da halten wir als große deutsche deutsche Automarken nicht so richtig mit. Und dieses Innovationsmindset, das hat halt unheimlich was mit, wenn sie im Markenartikel Bereich arbeiten, hat das was mit Marketing und Vermarktung zu tun und deswegen glaube ich, ist diese Tendenz hauptsächlich CFO’s in die CEO Posten zu setzen führt dazu, dass man zwar immer irgendwo den Kostenblock im Griff hat, aber man kommt nicht mehr ins Wachstum, man kommt nicht mehr ins Risiko rein, es braucht mehr Mut, es braucht mehr Trial and Error, es braucht mehr Energie in Innovation und für uns als ganze Nation, und da braucht man ja nur mal über die Grenzen zu schauen, geht man nach Frankreich oder nach Italien, dann hat man natürlich andere Industrieschwerpunkte und dann hat man viel mehr Markenmacher in CEO Positionen. Also es ist schon ein Phänomen, was wir vor allen Dingen in Deutschland haben, in Europa.
Harald: Sie haben es ja schon gesagt und das wäre meine vorletzte Frage, Sie haben enorme, enorm ambitionierte Wachstumsziele gesetzt. Verdopplung binnen in diesem Jahrzehnt und da das Jahrzehnt schon um halb rum ist, heißt das Jahr für Jahr fast 20% Umsatzsteuern. Das schafft kaum ein Unternehmen, warum -
Tina Müller: Sie haben ja den Build-up Effekt, also sie brauchen jetzt nicht 20% nicht jedes Jahr, nein, nein, das steigt ja dann pro Jahr und dann wird der Prozentsatz immer kleiner.
Harald: Aber sie stimmen zu, dass es extrem ambitioniert ist. Warum sollte gerade die Traditionsmarke Weleda das schaffen?
Tina Müller: Ja, weil ich glaube, es ist wichtig, ein ambitioniertes Ziel zu setzen und die Karotte hochzuhängen, weil das schafft natürlich Energie. Und jetzt haben wir, jetzt haben wir November und wir haben ja 22 ein schwieriges Jahr gehabt, wir haben es 23 gedreht und wir sehen 24 ernten wir jetzt bereits die Früchte und das Jahr läuft gut und das setzt unheimlich viel Energie frei und ich finde, gerade als Weleda ist Wachstum auch was Positives, weil wenn wir wachsen, dann machen wir das ja mit Verantwortung, und dann hat das einen positiven Einfluss auf den Planeten und auf den Menschen. Deswegen ist Wachstum aus unserer Sicht etwas Positives, weil es eben mit Verantwortung geschieht. Und dann, finde ich, sind ambitionierte Ziele, machen auch stolz, wenn man es erreicht und das bringt auch Energie in die Organisation und das spüren wir jetzt, das spüre ich, und dann macht es natürlich noch mal doppelt so viel Spaß.
Harald: Abgesehen von den nackten Zahlen, wann würden Sie sagen, war ihre Mission für und bei der Marke Weleda ein Erfolg?
Tina Müller: Wenn wir bis Ende des Jahrzehnts das Wachstum verdoppelt haben, die Konsumenten uns als moderne, leistungsstarke Marke im Bereich Pharma und Bereich Kosmetik sehen und einfach Weleda unter den Top Marken im relevant set ist, ja dann dann war meine Mission erfolgreich.
Harald: Sie haben die Premiorisierung angesprochen, im Feld welcher Marken, Kosmetikmarken sehen Sie denn Weleda in Zukunft?
Tina Müller: Ja, wenn wir in die Parfümerie schauen, dann haben wir natürlich da stehen, haben wir Dr. Hauschka da stehen, haben wir Annemarie Börlind da stehen, haben wir Kiehls da stehen, haben wir Clarins da stehen, und die sind ja teilweise vom Preisgefüge von, ich sag mal 50€ bis, ich sag mal la mer ist sicherlich das luxuriöste Produkt und auch kein Naturprodukt, um ehrlich zu sein, aber dann geht es ja auch bis 400 hoch und da möchten wir stehen und da können wir auch mit unserer Qualität stehen und mit dem richtigen Marketingmix und das ist dieses relevante Wettbewerbs Set in der selektiven Distribution.
Harald: Dr. Hauschka hat es vor ein paar Jahren schon geschafft, tatsächlich auch in Kalifornien bei Celebrities ordentlich zu landen. Was ist jetzt die Qualität, die Weleda da ins Spiel bringen könnte, um diesen ebenfalls aus Europa stammenden Platzhirschen zu verdrängen?
Tina Müller: Also, wenn Sie Hailey Bieber fragen, die hat uns ja auch großen Erfolg beschert mit Skinfood, Wir sind ja in den USA hauptsächlich mit Skinfood unterwegs und da ist uns genau das Gleiche passiert jetzt über die letzten 2 Jahre, dass Prominente und nicht nur aus USA, sondern auch aus anderen Regionen Weleda entdeckt haben und ohne, dass wir dafür bezahlt haben, auf Social Media gepostet haben und sich sehr positiv geäußert haben. Dr. Hauschka und Weleda kommen ja aus der gleichen Philosophie und Dr. Hauschka hat sich damals für die selektive Distribution entschieden und Weleda ist mehr in die Drogerie und in die Apothekendistribution gegangen. So, und das hat eher was mit dem Marketingmix zu tun, für den spezifischen Kanal. Es hat aber eigentlich weniger etwas mit der Produktphilosophie zu tun. Deswegen, es hat mehr mit der Erscheinung und der Auswahl der einzelnen Produkte zu tun, als das damit zu tun hat, dass das eine weniger Natur ist als das andere, weil wir sind beide 100% zertifizierte Naturkosmetik und im Falle von Weleda haben wir den höchsten Zertifizierungsgrad, nämlich Natrue. Das ist in der Naturkosmetik die allerhöchste, schwierigste, anspruchsvollste Zertifizierung, und der bleiben wir auch treu, und da machen wir auch keine Kompromisse.
Harald: Okay, aber Sie haben das Erscheinungsbild angesprochen, wenn ich Dr. Hauschka vor Augen habe, sehr wertiges Packaging, sie sagen, sie sind schon welche, was sind die Markenwerte, die Weleda auszeichnen sollen in Zukunft, wo man sagt, Okay, dann greife ich statt zu Dr. Hauschka eben zu Weleda. Da beide aus der gleichen Ecke kommen, weil was, was sind die Entscheidungsparameter, die Konsument:innen in Zukunft da haben sollen?
Tina Müller: Lassen Sie sich überraschen, das werde ich jetzt auch nicht verraten, aber es hat viel was mit der Produktleistung zu tun. Was wir für neue, tolle Rezepturen entwickelt haben, um die Alterung der Haut signifikant zu verlangsamen, weil ich glaube, das ist heute das Kernthema. Es ist nicht nur die Langlebigkeit generell unseres Körpers, die wir verstärken wollen, also das Thema Longevity, sondern es hat natürlich auch was mit der Verlangsamung der Hautalterung zu tun und zu schauen, welche Moleküle in der Zelle stehen denn für Hautalterungen und was kann ich tun, um die Haut widerstandsfähiger zu machen gegen die Hautalterung? Das wird das Thema sein für unsere neue Premiumlinie und dann dieser Wunsch nach Jugendlichkeit, der ist ja latent da und dann glauben wir, dass wir den besser bedienen können mit Hightech Naturformeln, die es so auch im Markt noch nicht gibt.
Harald: Also ich bin gespannt auf die Innovationen, die uns alle frischer und jünger erscheinen lassen. Vielen dank Frau Müller, für dieses tolle Gespräch.
Tina Müller: Danke für die Einladung, sehr gerne. Sustainable Brand Stories ist Teil des Brand 1 Podcasts Netzwerks und damit eines Netzwerks unabhängiger Business Podcasts. Wir machen Wirtschaft erleb und hörbar. Mit dabei sind zum Beispiel Subscribe Now, hier stellt Lennart Schneider Konzepte vor, mit denen ihr Abonnent:innen gewinnen und glücklich machen könnt. Um digitale Geschäftsideen geht es im Podcast digitale Optimisten mit Alexander Mrozek. i Im Planetary Podcast wiederum, diskutieren Brand 1 Host Frank Dahlmann und Fridjof Detzner von Planet Aventures über Wirtschaft in planetaren Grenzen. Alle Podcasts findet ihr auf Podcasts.Brandeins.de, Brand 1 als Wort ausgeschrieben. Schaut hier doch mal rein und hört vor allem rein, denn langweilig, das können wir versprechen, wird es nie.
Tatjana: Vielen Dank fürs Zuhören. Für weitere Infos, schaut gerne in die Shownotes und abonniert den Podcast, um keine Folge zu verpassen.