Strichpunkt Sustain­ability Talk #6

Godo Röben

Als Marketingleiter der „Rügenwalder Mühle“ baute Röben einen traditionellen Wurstproduzenten zur erfolgreichsten Marke für Fleischalternativen um. Heute berät er Start-Ups und etablierte Unternehmen, die tierische Produkte überflüssig und Veggie-Food salonfähig machen wollen.


Godo Röben, wieso nimmt sich ausgerechnet eine Wurstmarke wie die Rügenwalder Mühle das Thema Fleischersatz vor?
Gerade deswegen. Wenn einer eine richtig gute Wurst macht, dann doch ein Fleischer in sechster Generation. Die Leute wissen, dass Rügenwalder Mühle nie etwas rausbringen würden, was nicht vergleichbar gut schmeckt. Mit anderen Worten: Sie vertrauen der Marke.

Wieso haben Sie die neue Produktlinie nicht unter einer Sub-Brand gelauncht und getestet, ob sie funktioniert?
Genau dazu hatten uns auch unsere Werbeagenturen geraten: „Macht das auf keinen Fall unter der Marke Rügenwalder Mühle! Die Veganer:innen werden uns hassen, weil wir weiter Tiere schlachten – und die Fleischesser, weil wir ihrem natürlichen Feind, den Veganer:innen, Recht geben.“ Ich hatte mir aber unter Anderem den Bier-Markt angeschaut, wo alkoholfreie Sub-Brands wie Kelts (König Pilsener) alle gescheitert waren. Warum? Weil sie nicht von der Kompetenz ihrer Muttermarke profitieren durften. Den Fehler wollten wir nicht wiederholen.

Heute ist der Markt für pflanzliches Fleisch mehr als 600 Millionen Euro schwer und die Rügenwalder Mühle mit weitem Abstand Marktführer. Als Sie 2011 mit der Entwicklung begannen, gab es diesen Markt quasi noch gar nicht.
Das ist doch der Job von uns Marketingleuten: gesellschaftlichen Wandel zu erspüren und ihm mit Angeboten entgegenzukommen – Marktforschungsdaten hinterherlaufen kann schließlich jeder Azubi. Von Klimawandel und Bevölkerungsexplosion aber wussten wir auch damals schon. Ich hatte das Leid der Tiere in den Großschlachthöfen gesehen und die steigende Nachfrage nach vegetarischer Küche registriert.

"Mir war klar: Irgendetwas passiert da gerade. Und es wurde höchste Zeit, dass wir dem Rechnung tragen."


Ihre fleischgewohnten Kolleginnen und Kollegen waren von Ihrer Idee vermutlich wenig begeistert.
Als ich das Thema im Unternehmen vorschlug, bekam ich erstmal drei Jahre lang gepflegt etwas in die Fresse. Von damals 400 Rügenwalder-Mitarbeiter:innen waren 399 gegen meine Ideen. Aber dieser eine war glücklicherweise der Inhaber.

Wie haben Sie den großen Rest der Belegschaft mitgenommen?
Ich brauchte einige Zeit, bis ich verstand, dass ich mehr mit meinen Kolleginnen und Kollegen kommunizieren und meine Beweggründe erklären musste. Also habe ich eine Rede geschrieben und auf einer Betriebsversammlung erklärt, dass die Leute die Massentierhaltung einfach nicht mehr wollen, dass der Klimawandel durch die Fleischproduktion angeheizt wird und dass wir mit der Zeit gehen müssen. Mein letzter Satz lautete: „Die Wurst wird die Zigarette der Zukunft sein.“ Da war es mucksmäuschenstill im Saal.

Die Verantwortung, einen solchen 180 Grad-Schwenk einzuleiten, ist doch gigantisch. Wie schlecht haben Sie in der Zeit geschlafen?
Ich habe ausgezeichnet geschlafen, weil ich hundertprozentig überzeugt war, das Richtige zu tun. Es ist doch klar, dass wir die bald zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten nicht mit Fleisch ernähren können. Das war gar keine missionarische Erkenntnis, sondern ein schlichtes Rechenbeispiel.

Die logische Alternative wäre, sich vegan oder zumindest vegetarisch zu ernähren.
Stimmt. Die Verbraucher:innen werden aber nicht freiwillig auf ein Drittel ihres Ernährungsplans verzichten. Wenn ich drei Tage nicht in Fleisch gebissen habe, fehlt mir auch etwas. Deshalb muss die Lebensmittelbranche denselben Weg gehen wie die Automobilbranche: Die schlechten Produkte – Diesel und Benziner – raus aus dem Produktportfolio, zeitgemäße Produkte wie Fahrzeuge mit Batterie- oder Wasserstoffantrieb rein. Man bringt die Leute ja auch nicht vom Autofahren weg, indem man permanent auf Bus, Bahn und Fahrrad verweist.

Viele Unternehmen stehen heute an einem ähnlichen Kipppunkt wie damals die Rügenwalder Mühle: Ihr altes Produktportfolio hat sich überlebt, für das neue aber gibt es noch keinen Markt. Viele haben deshalb schlichtweg Angst.
Angst haben muss nur, wer sich nicht traut, dem Neuen eine Chance zu geben. Um das zu verstehen, muss man nur einen Blick auf den Friedhof einst großer Firmen wie Nordmende, Nokia, Grundig, HB oder Schlecker werfen – Unternehmen, die die Veränderungen der Zeit nicht erkannt und ihre Chancen verschlafen haben. Wie heißt es so richtig? Die Zukunft gehört den Mutigen.


Godo Röben

wird auf der SP Sustainability Online Session am 20.10. ab 16 Uhr von der Markentransformation der Rügenwalder Mühle berichten.

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Harald Willenbrock

Head of Concept & Content