Sustainability Talk #10

mit Jan Pechmann - Gründer Marketing for Future

Der Kommunikationsstratege und Marketing for Future-Gründer über Nachhaltigkeits-Blabla, intelligente Belohnungen und die Magie des Marketings. Außerdem wird die Frage beantwortet, wo Kreative dringend benötigtes Nachhaltigkeitswissen erwerben können.

Nach Fridays for Future, Architects for Future und Psychologists for Future hast Du vor etwa drei Jahren Marketing for Future gegründet. Braucht wirklich jede Branche ihre eigene Nachhaltigkeitsinitiative?
Unsere sollte jedenfalls eine haben, denn Marketing und Kommunikation könnten zum entscheidenden Treiber des nachhaltigen Wandels werden. Mit dem, was wir Kommunikator:innen gelernt haben, verfügen wir ja über eine mächtige Kraft: Wir können Menschen Dinge sehen lassen, die sie vorher nicht kannten. Gutes Marketing ist wie Magie, die Frage lautet nur: Verlegen wir uns auf schwarze oder weiße Magie?

Welchen Zaubertrick sollten Marketeers draufhaben?
Wenn die Zukunft uns briefen könnte, würde sie uns auffordern, festgefahrene Verhaltensmuster in den Bereichen Ernährung, Mobilität und Konsum zu beeinflussen. Sie würde uns bitten, Vernunft sexy und Verzicht cool zu machen.

War das der konkrete Anlass für Dich, Marketing for Future zu gründen?
Bei mir wuchs das mulmige Gefühl, dass ich aus dem, was ich als Stratege ganz gut kann, nicht das Beste mache. Nachdem ich dieses Unbehagen auf einer hauseigenen Konferenz in einer Art Seelenstriptease geteilt hatte, meldeten sich bei mir zig Kolleg:innen aus Agenturen und Marketingabteilungen, denen es ähnlich ging. Niemand von denen wollte das System sprengen oder raus aus seinem oder ihren Job, alle aber wollten Sinnvolleres leisten, als den X-ten Markenrelaunch vorzubereiten.

Nun kann man aber nicht sagen, dass aktuell nicht genug über und zu Nachhaltigkeit kommuniziert würde.
Genau das ist ja ein Teil des Problems.

"Nachhaltigkeitskommunikation ist häufig spaßbefreite Zeigefingerkommunikation."

Statt aber mit dem erhobenen Zeigefinger auf Konsumenten loszugehen, sollten wir uns dafür einsetzen, die Vernunft zu einer attraktiven Alternative zu machen. Wir müssen das Mind Behaviour Gap überwinden, und das vor allem beim großen „Rest“ der Bevölkerung, der die Botschaften von Fridays for Future gar nicht hören will. Leute also, denen man aus ihrer Sicht gerade die Wurst vom Brot und den Jahresurlaub in der Türkei wegnimmt.

Wie ließe sich diese schweigende Mehrheit begeistern?
Wir beobachten diverse Mechaniken, die scheinbar ganz gut funktionieren und die bei Licht betrachtet gar nicht so neu sind.

Nenn doch mal ein Beispiel, wie das aussehen könnte.
Ganz klar die Antwort auf die Frage „What‘s in it for me?“ Nachhaltiges Verhalten muss sich nicht nur aufs Karma-Konto, sondern auch auf andere Weise gewinnbringend für Verbraucher:innen auszahlen. Beispiel: Man kann Pendlern ja noch tausendmal vorhalten, wieviel klimafreundlicher das Fahrrad statt des Autos für ihren Weg zur Arbeit wäre. Oder man entwickelt eine App, wie es die Agentur Scholz & Volkmer für die Deutsche Bahn getan hat: „DB Rad Plus“ ist eine Art Challenge, bei der Du für geradelte Kilometer belohnt wirst, beispielsweise in Form eines Gratis-Capuccinos beim Bäcker entlang deines Arbeitsweges. Diesen Ansatz kann man jetzt beliebig auf andere Branchen und Produkte übertragen, denn energiebewusstes Verhalten spart sogar noch Geld, pflanzenbasierte Ernährung ist gesünder als die alte Fleischkost, und so weiter. All das sind Treiber, die viel treffgenauer punkten als die Moralkeule.

Die DB Rad Plus-App habt ihr dieses Jahr mit dem Marketing for Future-Award ausgezeichnet. Brauchte es wirklich noch einen weiteren Kreativpreis?
Wir sind viel mehr als ein Kreativpreis, denn kreativ allein reicht nicht. Wir suchen nach Best Practice-Lösungen, die kreativ, glaubwürdig und wirkungsvoll sind. Deshalb prüfen bei uns drei unabhängige Jurys die Einreichungen auf ihre Creativity, Credibility und ihren Commercial Value. Und statt des üblichen Konfetti-und-Prosecco-Galaabends verleihen wir die Preise beim Marketing for Future-Camp, bei dem wir mit allen Teilnehmenden die Einreichungen und Ansätze diskutieren. Alle Einreichenden, die es auf die Shortlist schaffen, erhalten von uns eine handgeschriebene Begründung unserer Entscheidung. Es geht ja darum, voneinander zu lernen, gemeinsam besser zu werden und Alternativen zum Greenwashing aufzuzeigen.

Wo genau endet denn legitime Nachhaltigkeitskommunikation – und wo beginnt Greenwashing?
Das genau ist die Masterfrage. Greenwashing sehe ich zum Beispiel in all diesen Scheinlösungen, die einen Neben- zum Hauptkriegsschauplatz hochstilisieren und sich dann für diesen abfeiern. Wenn beispielsweise eine Softdrink-Marke die Drehverschlüsse ihrer Einweg-Plastikflaschen mit 35 % Stroh oder wasweißichwas aufpeppt, anstatt auf Alternativen zum Wegwerfplastik zu setzen. Ein anderes Beispiel sind die inflationären „klimaneutral“-Buttons auf Produkten, die natürlich nicht klimaneutral, sondern allenfalls klimaneutralisiert sind.

Ich behaupte mal: in 8 von 10 Fällen erwächst derartiges Greenwashing nicht aus mangelnder Moral, sondern aus mangelndem Wissen. Wir haben in unserer Branche in puncto Nachhaltigkeit ein extremes Kompetenzproblem.

Woran liegt das?
Als Agenturen und Marketingleute sind wir für das komplexe Thema Nachhaltigkeit einfach nicht kundig genug.

"Marketing for Future braucht nun einmal ein anderes Kompetenzniveau als Marketing for Status Quo."

Das müssen sich Marketingleute jetzt schon aus eigenem Interesse draufschaffen, schließlich wird früher oder später auch bei ihnen der Net Zero-Beauftragte anklopfen und nach ihrem Beitrag zur Dekarbonisierung des Unternehmens fragen.

Wo können Kreative die nötige Nachhaltigkeitskompetenz erwerben?
Wir werden die Aktivitäten von Marketing for Future zum Jahresbeginn 2023 in eine Purpose-GmbH überführen und damit schneller, besser und professioneller werden als es ein Verein mit ehrenamtlichen Engagierten je sein könnte. Sie wird BAM! heißen, das steht für Bock Auf Morgen. Unter ihrem Dach werden wir unter anderem eine Akademie gründen, die Artdirektor:innen und anderen Kreativen konkretes Nachhaltigkeitswissen frei Bordsteinkante liefert. Ist das die perfekte Lösung? Nein. Aber wer auf einen 100-prozentigen Ansatz wartet, der wird alt und grau. 80 ist das neue 100.

Jetzt gibt's was auf die Ohren! Mehr zum Thema gibt's in unserem Podcast. Hör doch mal rein!






Let's talk

Lust, über die nachhaltigen Potenziale Ihrer Marke zu sprechen?
Harald freut sich auf einen lockeren Austausch. Einfach eine kurze Nachricht an h.willenbrock@sp.design schreiben.

Harald Willenbrock

Head of Concept & Content