SUSTAINABLE BRAND STORIES #14

Stephan Grünewald, Psychologe und Bestsellerautor

Der Psychologe und Bestsellerautor Stephan Grünewald erklärt, was uns Deutsche bewegt und wie Marken zukunftsfähig kommunizieren können.

Herr Grünewald, die Mehrheit der Verbraucher:innen behauptet in Umfragen, sich bei ihren Einkäufen von Nachhaltigkeitsgesichtspunkten leiten zu lassen. Vorm Supermarktregal aber tut es nur eine Minderheit. Was ist da los?
Welche:r Verbraucher:in kann sich schon bei den vielen tausend Konsumentscheidungen mit jedem einzelnen Produkt auseinandersetzen? In einem Alltag, der vor allem von negativen Schlagzeilen dominiert wird, will man von Marken nicht mit noch mehr Stressfaktoren attackiert werden.

So genau wollen wir es also doch nicht wissen.
Da ist viel gläubige Erwartung und wenig Wissen im Spiel. Wir haben das bei der Marke „Der grüne Frosch“ gesehen, die wir seit vielen Jahren begleiten: Zu viel Transparenz in Form von Informationen auf der Packung wirkt auf Verbraucher sogar eher verunsichernd. Verbraucher:innen bewegt nicht unbedingt die Sehnsucht nach der heilen Welt, aber eine Sehnsucht nach einer heilenden Welt. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass Hersteller es allein bei der Magie ihrer Marken belassen sollten.

„Wir haben Sehnsucht nach einer heilenden Welt“



Was bedeutet das für Marken?
Sie müssen ihren Ankündigungen Taten folgen lassen. Kund:innen erwarten von ihnen, dass Marken sich stellvertretend für sie um Nachhaltigkeit kümmern. Was die Nachhaltigkeitskommunikation verspricht, muss die Packung halten und das Produkt einlösen. Händler wiederum sollen als Gatekeeper dafür sorgen, dass ohnehin nur nachhaltige Produkte in ihre Regale kommen. Der oder die Kund:in wird das aber nicht einmal besonders honorieren, sondern nur jene Marken beziehungsweise Händler abstrafen, bei denen ans Licht kommt, dass sie sich nicht wirklich gekümmert haben.

Konsument:innen sind also irgendwie schizophren: Sie verlangen einerseits nachhaltige Produkte und Dienstleistungen, wollen andererseits aber wenig dafür tun.
Ich würde eher sagen: Wir sind ambivalent. Wir wollen den Kuchen essen und ihn gleichzeitig behalten. Wir wollen SUV fahren und zugleich den Planeten retten.

Wie können nachhaltig orientierte Marken diese ambivalenten Verbraucher:innen mitnehmen?
Marken müssen die Ambivalenzen der Menschen erkennen. Wer Konsument:innen erreichen will, muss an ihrem seelischen Alltag andocken. Das Thema Purpose ist nicht von ungefähr zum Thema geworden, weil in unserer komplexen Welt Menschen das Gefühl haben, den Sinn aus den Augen zu verlieren. Nachhaltigkeit kann ein Purpose sein, muss es aber nicht. Wer das versteht, erhöht zumindest seine Erfolgschancen.

"Wer Konsument:innen erreichen will, muss an ihrem seelischen Alltag andocken."



Nennen Sie mal ein Beispiel.
Nehmen Sie Bio-Lebensmittel: Die allererste Generation von Bioprodukten tat sich am Markt ja auch deshalb so schwer, weil sie allein für vernünftigen Verzicht stand. Wer sich damals eine verschrumpelte Biomöhren zulegte, bekam für einen heftigen Mehrpreis lediglich das Gefühl, protestantisch vernünftig gehandelt zu haben. Die heutigen Biomöhren hingegen sind saftiger, röter, durchkrafteter und von einer fast erektiven Grundspannung. Man könnte sagen, sie sind katholisch geworden. Damit bekommt die Geschichte aus Verbrauchersicht einen attraktiven Dreh: Weil dieses Gemüse organisch aufgewachsen ist, scheint es knackiger und gesünder zu sein. Also ist man auch bereit, mehr für es zu zahlen.

Brauchen wir also mehr positive Angebote? Beispiele erfolgreicher Veränderung statt Katastrophenszenarien?
Die Leute haben jedenfalls so viele Katastrophenszenarien zu sehen bekommen, dass sie nicht mehr hinschauen. Zum anderen verspüren sie ein Machbarkeitsdilemma: man weiß gar nicht, wo man ansetzen und wie man etwas bewirken kann. Das führt beim Einzelnen zu einer „Ich kann ja eh nichts tun“-Ohnmacht. Als Folge dieser Gefühlslage verabschieden sich die Menschen von großen Wünschen und Plänen und sind froh, wenn das Leben für sie einen milden Verlauf nimmt.

Wie kommen wir da raus?
Zum einen braucht es handhabbare Etappenziele, bei denen der oder die Einzelne mitwirken und etwas bewegen kann. In der Energiekrise des Winters 2022/23 hat das ja gut funktioniert: Die Leute haben tatsächlich ihre Heizungsthermostaten heruntergedreht, mehr als 20 Prozent Energie gespart und so etwas wie Selbstwirksamkeit gespürt. Rätselhafterweise hat die Politik diesen kollektiven Erfolg nicht gefeiert. Da hätte es Schulterklopfen für diese erfolgreiche gemeinsame Anstrengung gebraucht! Bundeskanzler Scholz und Habeck hätten vor die Bürger treten und sagen müssen: Toll, dass wir das zusammemn geschafft haben!

Erkenntnisse wie diese stammen aus rund 5000 Tiefeninterviews, die Sie und Ihre Psychologenkolleg:innen jedes Jahr mit Bundesbürger:innen führen. Wie bringen Sie Menschen dazu, sich auf Ihre Psycholog:innencouch zu legen und ihre innersten Motivatoren und Ängste mit Ihnen zu teilen?
Die Couch ist natürlich sinnbildlich zu verstehen, denn unsere Probanden sitzen den Psycholog:innen gegenüber. Abgesehen davon laufen unsere Gespräche tatsächlich ähnlich wie beim Analytiker, wo der oder die Befragte in einem zweistündigen Prozess alles teilt, was ihm oder ihr zum Untersuchungsthema einfällt. Wir gehen mit unseren Befragten auf eine systematische Forschungsreise, bei der wir tief in die Logik des menschlichen Alltags einsteigen. Die Ergebnisse sind auch für uns immer wieder überraschend.


Stephan Grünewald ist Diplom-Psychologe, Marktforscher, Bestsellerautor und ein guter Bekannter unserer Psyche. Zusammen mit seinen Forscherkolleg:innen am Rheingold-Institut ertastet Grünewald nämlich jedes Jahr in tausenden Tiefeninterviews die Seelen und Wünsche der Deutschen. Seine Erkenntnisse teilt er in Bestsellern wie „Deutschland auf der Couch“ oder „Die erschöpfte Gesellschaft“ mit uns; auf seinen profesionellen Rat hören Unternehmen wie Unilever, Beiersdorf und die Deutsche Bahn.


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Harald Willenbrock

Head of Concept & Content